Ein deutscher Zeuge im Madrider Prozeß gegen separatistische Politiker
B. v. Grünberg, Jurist und Sozialdemokrat, nimmt Stellung



Bernhard von Grünberg, Mitglied des NRW-Landtages. beobachtete die Vorgänge rund um das versuchte Referendum am 1. Oktober 2017 in Katalonien. Kürzlich wurde er deshalb als Zeuge im Prozeß vernommen. Ein Anlaß, ihm einige Fragen zu stellen.

Die Fragen:

* Sprechen Sie Spanisch und/oder Katalan?

* Artikel 6 Absatz 2 des Autonomiestatut Kataloniens, also der Verfassung, bezeichnet Katalan und Spanisch als offizielle Sprachen und legt außerdem fest, dass es keine Diskriminierung im Gebrauch der einen oder anderen Sprache geben darf. Diese Bestimmung entspricht auch den Autonomiestatuten (Verfassungen) in anderen Gebieten wir Valencia, Balearen etc. Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie, obwohl die Bevölkerung Kataloniens mehrheitlich spanischsprachig ist, in ganz Katalonien kaum eine Firma finden, die Spanisch beschriftet? Wissen Sie auch warum?

* Wissen Sie, dass in ganz Spanien ca. 1/3 der Schulen (concertada und privado) unter privater Trägerschaft betrieben werden und was wissen Sie darüber, wie der Unterricht in den autonomen Gebieten Kataloniens aussieht, was die Unterrichtssprache in den privaten und öffentlichen Schulen betrifft?

* Was wissen Sie über die Indoktrinationsvorwürfe, die den öffentlichen katalanischen Bildungseinrichtungen gemacht werden?

* Ist Ihnen der Begriff der „paisos catalans“ bekannt und was wissen Sie über die Strategie der Rekatalanisierung?

* Die UN lehnt eine Sezession Kataloniens ab. Das Bundesverfassungsgericht ist zuletzt im Dez. 2016 einer Sezession Bayerns mit der Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde entgegengetreten. Wie beurteilen Sie die Legalität einer Sezession Kataloniens von Spanien? Sollte sich Katalonien erfolgreich von Spanien abspalten, was halten Sie davon, wenn Tabarnia (also die Region Barcelona und Tarragona) sich von Katalonien abspalten wollen?

* Wie beurteilen sie die Lage der spanischen Demokratie im Vergleich zur Demokratie in Deutschland?

* Was wissen Sie über die Lage der arbeitenden EU-Ausländer in Spanien?

* Sind Ihnen die Probleme der deutschen Residenten in Spanien mit der Pflege bekannt?

* Was gibt es, was Sie noch sagen möchten, und ich nicht gefragt habe?

Die Antwort:

Ich möchte Ihre Fragen mehr im Zusammenhang beantworten, weil nur so meine Meinung zu dem Konflikt deutlich wird. Ich spreche nur wenig Spanisch, habe aber hinreichend Freunde und Bekannte, die mir beim Übersetzen helfen. Sie werden ja wissen, dass ich nicht für die Unabhängigkeit bin, sondern versuche, dabei zu helfen, dass es zu Gesprächen kommt über einige zentrale Fragen, wie gesicherte föderale Zuständigkeit, einen Länderfinanzausgleich und die Aufarbeitung der Geschichte des Bürgerkrieges und der Franco-Zeit und der Nach-Franco-Zeit.

Gerade bei diesen Punkten könnten deutsche Fachleute beratend helfen. Eine wichtige Frage für die Katalanen ist natürlich die eigene Sprachtradition. Wie Sie wissen, war die katalanische Sprache während der Franco-Zeit verboten.[1] Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Erhaltung und Weitergabe dieser Sprache für viele kulturell sehr bedeutend ist. Ich weiß, dass beide Sprachen, Spanisch und Katalanisch, Amtssprachen sind. Ich glaube, es gehört auch zum demokratischen Umgang, dass man die Argumentation der jeweils Anderen erträgt bzw. versucht, zu verstehen. Schulpolitik und der Lehrinhalt sind bei uns ewiges Streitthema. Hierüber müsste man sich eigentlich verständigen können, auch zwischen der spanischen und katalanischen Regierung. Ein bisschen weniger Emotion auf beiden Seiten würde für das Zusammenleben sicherlich vernünftig sein.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die UN irgendetwas sagt über eine Unabhängigkeit Kataloniens.[2] Die UN ist eine Organisation der Friedenserhaltung. Was die deutsche Rechtslage betrifft, so ist es richtig, dass das Bundesverfassungsgericht eine Abstimmung über die Unabhängigkeit Bayerns abgelehnt hat. Dieser Antrag kam von einer kleinen unbedeutenden Bürgerinitiative. Ich habe mich mehrfach geäußert, dass es in Deutschland nicht wirklich zu einer solchen Situation kommen würde, dass eine Region mit Mehrheit im Parlament eine Unabhängigkeit wünscht, weil man längst vorher versucht hätte, eine einvernehmliche Lösung zwischen Staat und Regionalstaat zu erreichen.

Es gibt zwei sich widersprechende rechtliche Prinzipien, das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes (hier ist in der spanischen Verfassung ausgeführt, dass Spanien ein Zusammenschluss von Nationen bzw. Nationalitäten ist) und die Bundestreue. Das sind theoretische Positionen, an denen in Spanien und Katalonien zu stark festgehalten wird.

Entscheidend ist doch die Realität. Die Katalanen müssten in ihrer Mehrheit begreifen, dass sie ohne Zustimmung von Spanien nicht in der EU bleiben können und auch eine feindliche Nachbarschaft mit einer Schengengrenze nicht erstrebenswert ist. Die Spanier müssten begreifen, dass sie nicht auf Dauer einen großen Teil einer Bevölkerung daran hindern können, bei ihnen zu bleiben, wenn sie nicht mehr zusammen leben wollen. Gerade das Brexit-Drama zeigt doch, dass unrealistische Zielvorgaben (oder Populismen) nicht zur Problemlösung führen. Das Problem der spanischen Demokratie ist auch, dass es keinen gesicherten Föderalismus gibt, dass es unzureichend abgestimmte Regeln beim Länderfinanzausgleich gibt und die Geschichte wenig aufgearbeitet ist und das noch die Emotionen anheizt.

Ich habe mit Erstaunen das Verfahren des obersten Gerichtes erlebt. Wie kann es sein, dass Rebellion und Aufruhr angeklagt werden, die zur Voraussetzung eine staatsgefährdende Gewalt haben, die offensichtlich nicht vorliegt? Das OLG Schleswig-Holstein und andere Gerichte in Europa hatten ja die Auslieferung von Herrn Puigdemont abgelehnt, weil auch in Spanien dies Voraussetzung für die Erfüllung einer Straftat ist. Die Regierung und die Justiz haben vor dem Prozess fachlich hierzu nicht Stellung genommen.

Auch der zweite Tatbestand der Veruntreuung öffentlicher Mittel durch das Referendum am 01.10.2017 ist schon deswegen problematisch, weil der spanische Finanzminister und Ministerpräsident Rajoy erklärt haben, dass die katalanische Regierung kein Geld ausgeben konnte, weil die Finanzzuständigkeiten längst beim Zentralstaat lagen. Ich muss vermuten, dass vom spanischen Staat die Justiz missbraucht werden soll, um ein politisches Problem zu lösen, das man durch Dialog nicht lösen will.

Das führt aber zu einer für Spanien auch wirtschaftlich katastrophalen Einschätzung, dass in Spanien die Justiz von der Regierung gesteuert wird. Für mich als Jurist war es auch völlig unverständlich, dass im Prozess eine politische Partei, hier auch noch eine rechtsradikale, Nebenkläger sein kann und der Prozess im Fernsehen übertragen wird. Wie soll ein Richter nur nach dem Gesetz urteilen können, unbeeindruckt von einer politischen Kampagne?

Über die Situation der EU-Ausländer in Spanien möchte ich nichts sagen. Ich gehe davon aus, dass diese denselben Rechtsstatus haben wie im restlichen Europa.

Auch über die Pflegesituation möchte ich mich nicht äußern.

Anmerkungen

[1] Mit dem Sieg der Allierten nach dem 2. Weltkrieg mußten die Franquisten teilweise ihre Repression von Sprachen aufgeben, schreibt z.B. Wikipedia und Katalan war nicht länger verboten. Die Gründung der katalanischen Kulturorganisation „Ómnium Cultural“ 1961 während der Francozeit, die heute in ein wichtiges politisches Instrument der Separatisten verwandelt worden ist, legt Zeugnis davon ab, dass man nicht für die ganze Franco-Ära von einem Verbot sprechen kann.

Die Aufhebung des Verbotes der katalanischen Sprache kann man jedoch auf keinen Fall so deuten, dass es nicht weiter eine Sprachdiktatur der Franquisten zu Gunsten von Spanisch gab. Katalan wurde weiterhin mit ähnlichen Mitteln unterdrückt, wie die Separatisten heute Spanisch unterdrücken.

[2] In einem anschließenden Telefonat wies ich Herrn von Grünberg auf das Zitat des ehemaligen Generalsekretärs der UN, Ban Ki Moon, hin. Der hatte 2015 bei einem Besuch in Barcelona erklärt: „Katalonien gehört nicht zu den Gebieten, die ein Recht auf Selbstbestimmung haben!“

Wir haben schnell Einigkeit gefunden bei dem Gedanken, dass man nicht alle Probleme juristisch lösen kann. Was nicht legal ist, kann trotzdem legitim sein. Ein Gedanke, den ich auf diesem Blog schon am 13. Februar 2019 in meinem Artikel zum Prozess gegen den 'procés' äußerte.