Die Wahlbeobachtungskommission (OCE) der Societat Civil Catalana (SCC), eine Organisation von Gegnern des katalanischen Separatismus, hat im September eine umfangreiche Studie über die Zusammenhänge und Strukturen von Stimmverhalten, Sprache, Einkommen und Medienkonsum in Katalonien vorgelegt.

Darin werden statistische Daten präsentiert, die deutliche Zusammenhänge zwischen Sezessionsanhängigkeit, Zugehörigkeitsgefühlen oder nationaler Identität, Medien und Familiensprache aufzeigen. Untersucht werden auch das monatliche Haushaltsnettoeinkommen, die ideologische Selbstpositionierung, das Alter und einige Hinweise auf relevante sprachliche Themen der Befragten.

Ich habe einige Ergebnisse übersetzt und mit Anmerkungen versehen:

Katalanische Regionalwahlen

Zur Vergrößerung der Bilder bitte jew. Abbildung anklicken.

Der blaue Balken zeigt den Prozentsatz für separatistische/nationalistische Parteien in Prozent der abgegebenen Stimmen.

Der rote Balken zeigt den Prozentsatz für separatistische Parteien in Prozent der Wahlberechtigten.

(Als Stimmen für die Unabhängigkeit werden die ERC, die CiU, die ihr nachfolgenden und analoge Parteien gezählt. Die Parteien/Bündnisse um die konservative CiU haben stets wechselnde Namen gehabt. Ihr heutiger Repräsentant ist Carles Puigdemont.HJ)

Die Jahre ab 2012 sind aus folgendem Grund hervorgehoben: „Im Dezember 2012 unterzeichneten der Präsident der Generalitat, Artur Mas (CiU), und Oriol Junqueras (ERC) einen Pakt über die Regierbarkeit (in etwa wie Koalitionsvertrag), in dem sie sich verpflichteten, ein Selbstbestimmungsreferendum in Katalonien abzuhalten. Im Januar 2014 beantragte das katalanische Parlament beim spanischen Abgeordnetenhaus die Übertragung von Befugnissen zur Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit, was jedoch abgelehnt wurde.“ (Wikipedia) Dieses Referendum wurde 2017 trotzdem durchgeführt und führte zur Verhaftung separatistischer Politiker und der Flucht Puigdemonts.

Für diesen Zeitraum ab 2012 ist auffällig, dass je höher die separatistischen Stimmen unter den Wahlberechtigten (rot), desto niedriger der Anteil bei den abgegebenen Stimmen (blau). Dieses Verhältnis kippt im Jahre 2021, in dem wegen der Corona-Politik die Wahlbeiteiligung drastisch sank. Daraus kann man schließen, die Unterstützer der Separatisten gehen eher zur Wahl.

Katalanische Heterogenität: Sprache, Gebiet und Medienbeobachtung

Eine sehr ungleiche Auswirkung des „procès“ wird deutlich, wenn wir Katalonien nach Gebieten, Sprachen und Medien aufteilen.

Ein starker Zusammenhang zwischen der Unterstützung der Sezession und der selektiven Beobachtung der autonomen Nachrichtenmedien wurde nachgewiesen, und dieser Zusammenhang bleibt auch dann bestehen, wenn wir den Faktor Sprache überprüfen.

Der sehr starke Zusammenhang zwischen Sezessionismus, der Anhängerschaft von TV3/CatRadio und der Muttersprache lässt den Verdacht aufkommen, dass autonome Ressourcen für eine Politik eingesetzt werden, die die Katalanen spaltet und die Gefahr birgt, dass das für den sozialen Zusammenhalt wichtige Segment des doppelten Nationalgefühls untergraben wird.

Einige Hinterlassenschaften des „procès“

Die starke Erosion in der katalanischen Sprachgruppe des Blocks mit doppelter Gesinnung (spanische und katalanische Gesinnung gleichermaßen) und die Zunahme der extremen, rein katalanischen Gesinnung in dieser Sprachgruppe ist eines der greifbarsten und beunruhigendsten Ergebnisse des „procès“. Es handelt sich um eine Veränderung, die vor allem einen Teil der katalanischen Bevölkerung betrifft: die der katalanischen Familien/Muttersprache.

Die Muttersprache der katalanischen Bürger

In der Gruppe der katalanischen Bürger mit spanischer Familien/Muttersprache hingegen gibt es nur minimale Veränderungen in ihrem Zugehörigkeitsgefühl. Diese Gruppe (die in Katalonien die Mehrheit darstellt, nämlich 57%, siehe nebenstehende Abbildung) erweist sich als immun gegen die Durchführung des „procès“.

Unterstützung der Unabhängigkeit, sprachliche Gruppe und Zuschauer/-hörer von TV3/Cat Radio

Eine Ausnahme bilden diejenigen, die die Nachrichten auf TV3/CatRadio verfolgen (Gruppe C in nebenstehender Abbildung, 11,3% der katalanischen Bevölkerung im oberer Farbbalken)

42,6% der wahlberechtigten spanischen Muttersprachler (grün), die TV3/CatRadio nicht verfolgen, unterstützen die Unabhängigkeit zu nur 16,7%. Die wahlberechtigten katalanischen Muttersprachler (rot), die TV3/CatRadio verfolgen, unterstützen die Unabhängigkeit zu 85,8%.

Wirtschaftliche Aspekte und politische Reaktionen differenziert nach links und rechts sowie nach Altersunterschied

Katalanen mit Katalan als Muttersprache haben ein höheres Familiennettoeinkommen als Katalanen mit Spanisch als Muttersprache, eine Situation, die während des gesamten untersuchten Zeitraums anhält und sich auch während der Krise nicht verbessert (siehe Abbildungmit Graph für monatliche Einkommen)

Die Katalanen mit katalanischer Muttersprache und die Katalanen mit spanischer Muttersprache schneiden bei der Variable ideologische Selbstpositionierung bis 2014 ähnlich ab. Danach werden die Katalanen mit spanischer Muttersprache rechtslastiger, ein Phänomen, das sich durch die unterschiedliche Positionierung der autonomen rechten und linken Parteien während des „procès“ erklären lässt (siehe Abbildung mit der ideologischen Selbstpositionierung entlang der Muttersprache)

Die jüngste Altersgruppe ist diejenige, deren Unterstützung für die Sezession am deutlichsten abnahm. (siehe Abbildung). Die Daten beziehen sich auf die Gesamtbevölkerung und sind nicht nach Sprachen aufgeschlüsselt. Bei der jüngeren Gruppe insgesamt ist ein deutlicher Abwärtstrend bei der Unterstützung zu verzeichnen. Die ältere Gruppe beginnt nach einer Periode zunehmender Unterstützung für die Sezession, ihre Unterstützung für die Sezession zu verringern. Die anderen Altersgruppen zeigen ein mittleres Verhalten zwischen den beiden.

Regionale Sprachenpolitik und die Präferenzen einiger befragter Bürger

Die Sprache im öffentlichen Bildungswesen

Die geäußerten Präferenzen hinsichtlich der Verwendung verschiedener Sprachen im öffentlichen oder subventionierten Bildungssystem sind nicht mit der bekannten sprachlichen Immersion vereinbar, die ein Produkt der regionalen Gesetzgebung ist. Die gestellte Frage lautete: „Wie sollte Ihrer Meinung nach der Pflichtunterricht in den öffentlichen oder staatlich geförderten Schulen (concertadas) in Katalonien gestaltet werden?“ Man beachte, dass die Mehrheit eine Verwendung von Sprachen im öffentlichen Bildungswesen bevorzugt, die mit dem geltenden autonomen Bildungsgesetz unvereinbar ist, das als sprachliche Immersion bezeichnet wird.

Das Sprachformat im öffentlichen Bildungswesen

Die gestellte Frage lautete: „In Bezug auf die Bildung, welche der folgenden Formeln würden Sie bevorzugen, was katalanische öffentliche oder staatlich subventionierte (concertadas) Schulen anbieten sollen?“ Auch hier bevorzugt die Mehrheit ein Sprachenformat im öffentlichen Unterricht, das mit dem geltenden autonomen Bildungsgesetz, der sprachlichen Immersion unvereinbar ist. (Beachtenswert, hier taucht das erste Mal mit 6,6% die Forderung auf, dass das die Eltern bestimmen sollen. HJ)

Akzeptanz sprachlicher Bußgelder

Es gibt einen sehr deutlichen Widerstand gegen die sprachlichen Bußgelder, die gemäß der autonomen Gesetzgebung gegen Geschäfte verhängt werden, die ihre Produkte nicht auf Katalan kennzeichnen (siehe Abbildung).

Schrift- und Muttersprache

Es sei daran erinnert, dass 57 % der Katalanen (Abbildung 10) Spanisch als Muttersprache haben, die auch die wichtigste Schriftsprache ist (siehe Abbildung), und dass trotz Gerichtsurteilen, wonach mindestens 25 % des Unterrichts auf Spanisch stattfinden müssen, diese Zahl in der Praxis nicht eingehalten wird.