Der sozialistische spanische Präsident Pedro Sánchez (PSOE) hat mit dem Führer von Junts (konservativen Separatisten), Carles Puigdemont, eine Amnestie ausgehandelt, damit Junts ihm bei der Wiederwahl am 27. November im Parlament ihre Stimme geben.
Gegen eine solche Amnestie finden schon seit Tagen Proteste von konservativen spanischen Nationalisten überall in Spanien statt, die vor dem Sitz der PSOE in Madrid mittlerweile von faschistischen Elementen zur Anwendung massiver Gewalt genutzt wurden. Eine Situation, die wir sonst vor allem von den separatistischen CDR (Comités de Defensa de la República) aus Barcelona kennen.
Aber auch in Valencia ruft man zu Demonstrationen gegen die Amnestie und Versuche der Vereinnahmung (No als Països Catalans) durch die katalanischen Separatisten auf. Man befürchtet sogar, dass Sánchez für seinen Machterhalt den Separatisten ein verfassungswidriges Referendum zugestehen will.
Wird dieser Deal zur Lösung des Katalonienkonflikts beitragen?
Im Oktober 2019, schon kurz nach der Urteilsverkündung über die Führer der Separatisten, habe ich mich zur Frage der Amnestie geäußert. Ich habe klar gemacht, dass Amnestie ein einseitiger Akt der Gnade (Gnade vor Recht) ist, denn menschliche Justiz ist niemals perfekt. Amnestie in der Politik erlaubt, über diese Unvollkommenheit hinweg die Möglichkeit zu einer politischen Lösung zu kommen. Das gilt insbesondere, wenn wie hier im Katalonienkonflikt, die Verurteilten die Führer einer großen Minderheit sind und mit dem juristischen Urteil somit zugleich diese Minderheit sozusagen 'moralisch' verurteilt wurde.
Die spanischen Parlamentswahlen im Juli diesen Jahres haben keine klaren Mehrheiten ergeben, weder für die Konservativen noch die Sozialisten. Der Versuch des konservativen Alberto Feijóo, sich zum Präsidenten wählen zu lassen, scheiterte an diesen Verhältnissen und Sánchez wird scheitern, wenn es ihm nicht gelingt, die katalanischen Separatisten für sich zu gewinnen.
Die Forderungen von Junts waren von Beginn an eine Amnestie und das Zulassen eines Referendums über die Unabhängigkeit. Mit Bekanntwerden einer evt. Einigung initiierten die Konservativen eine Bewegung gegen die Amnestie und haben damit wohl auch eine gewisse Unterstützung unter den Wählern der PSOE. Das war offensichtlich ein gelungener Schachzug, denn letztlich geht es nicht um eine Amnestie, sondern um die Präsidentschaft.
Die Frage der Amnestie ist sehr emotionsgeladen. Auch meine Gefühle geben mir eher Rachegelüste und düsterste Gedanken, wenn ich beispielsweise an das Leid denke, dass die Separatisten vor allem über Schüler und Studenten mit ihrem Sprachzwang bringen. Aber Emotionen und Rache in der Politik führen nur zu Irrwegen, zur Eskalation und weder zu einem Kompromiß noch zu einem tragbaren Frieden. Insofern sind die gewaltsamen Ausschreitungen der extremen spanischen Nationalisten nur eine logische Folge.
Es gilt, im Auge zu behalten, dass die beabsichtigte Amnestie eben keine Amnestie ist, also ein einseitiger Akt der Gnade. Es ist ein politischer Handel und ohne jedes Moralisieren, sonst gar nichts.
Ich bezweifle, dass dieser Handel den Samen einer politischen Lösung des Konflikts in Katalonien in sich trägt. Ob damit die Präsidentschaft von Sánchez gesichert ist, wird man am 27. November sehen.
Dieser Blog existiert nur, weil ich mit Unionisten in Verbindung stehe. Sie sind sich in Bezug auf den Amnestiedeal nicht unbedingt einig. Ich möchte zwei dieser Äußerungen ohne Anspruch repräsentativ zu sein, zitieren:
Antonio schrieb mir 2019 auf meinen schon oben erwähnten Artikel „Du sagst mir: 'Wir müssen für friedliche Lösungen kämpfen' und dann: 'Das ist nicht fair, das ist Scheiße, aber so ist das Leben.' Doch wenn Du Dich ganz und gar ergibst und alles akzeptierst, was die andere Partei jetzt und in Zukunft tun möchte, wirst Du mit Sicherheit FRIEDEN haben. Ich kämpfe lieber für GERECHTIGKEIT, auch wenn ich keinen Frieden habe.
Obwohl ich mit Deiner Idee nicht einverstanden bin, das heißt, ich respektiere sie nicht, sondern bekämpfe sie, werde ich immer dafür eintreten, dass Du sie äußern kannst, denn es ist fair, dass alle Menschen ihre Ideen äußern können.“
Jaime schrieb mir vor wenigen Tagen: „Die Frage 'Warum jetzt Amnestie?' hat noch einen zweiten Grund: Etwa 35-40 % der Katalanen empfinden es als kollektive Demütigung (zusätzlich zu einem Urteil, mit dem das Verhalten von einem Dutzend Personen bestraft wird). Diese 35-40% sympathisieren tatsächlich mit den 'souveränen Überzeugungen'... auch wenn die separatistischen Führer in den Augen der meisten Menschen, die separatistisch sind (und nicht nur derer, die es nicht sind), verbrannt sind, da sie von ihnen beschuldigt werden, ihre Anhänger belogen zu haben, indem sie ihnen vorgaukelten, dass der Weg zur Unabhängigkeit vollständig geebnet und frei sei und dass das Nirwana in wenigen Tagen, ja sogar Stunden, erreicht werden würde... bis sie am 1. Oktober 2017 tatsächlich die katalanische Republik ausriefen und lauthals verkündeten: 'Wir haben es geschafft'!
Wie Du weißt, geben nur wenige Menschen zu, dass sie dumm sind, und beschuldigen lieber die Demagogen, sie 'belogen' zu haben. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas in Deutschland nach 1945 passiert ist ('Ich bin kein Narr, ich wurde nur belogen').
Ich glaube deshalb, dass wir ein kollektives Interesse daran haben, dieses Thema abzuschließen, weil wir es nur jetzt erreichen können. Die Unabhängigkeitsbewegung ist gescheitert, sie hat keinen Schwung, und viele Menschen, die sie gewählt haben, tun dies nicht mehr. Die Täter sind für 4 Jahre ins Gefängnis gegangen (die Schuldigen, nicht die Unabhängigkeitsbefürworter), und ihre Wahlbeteiligung ist im Laufe der Zeit nur noch gesunken (25 % bei der letzten Parlamentswahl am 23. Juli gegenüber 48 % der abgegebenen Stimmen bei der vorherigen Wahl). ... außer zum Vorteil der Linken und nicht zum Vorteil der PP und Vox.“
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